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Das Suppenwunder

Erstellt von Zeno Cavigelli, katholischer Seelsorger | |   Unsere Zeitung

Als vor ein paar Wochen bei uns in der Kirche wieder einmal die Geschichte von der Hochzeit zu Kana vorgelesen wurde, zuckte ich zusammen, den Protest derer erwartend, für die Wasser gesünder ist als Wein, erst recht, wenn alle schon betrunken sind, wie der Evangelist Johannes berichtet.

Nichts dergleichen geschah, aber das ist schwer zu deuten. Es lag wohl an der soliden Auslegung, die auf die Erzählung folgte. Mir ging es dann allerdings wie vielen, die einen Gottesdienst besuchen: Das Thema, einzelne Wörter oder Lieder beginnen sich, manchmal erst Tage später, im Kopf zu drehen. Im sicheren Abstand zum wirklichen Geschehen macht sich das Erlebte selbstständig. «Mutationen» nennen das die Genetiker, und am Schluss bleibt etwas ganz anderes hängen als am Anfang. So auch bei mir. Aus dem Wein entstand – o Wunder! – plötzlich Suppe. Suppen über Suppen tauchten auf, eine war noch im Tiefkühler und fand den Weg in unsere Teller, samt Markbein. Eine wurde mir und hundert Dorfgefährtinnen und -gefährten von der Mitte-Partei serviert. Die war so reichhaltig und transparent, wie man es von der Politik gewohnt ist, und heiss war sie auch. Da wird nicht im Trüben gefischt. Die Kartoffelwürfel und die Rüebli können abgezählt werden und über dem Ganzen schwimmt nicht wenig Käse. Tags darauf bescherte uns die eigene Pfarrei eine Suppe, und auch die mundete vorzüglich. Hier hatte allerdings der Mixer für Harmonie im Teller gesorgt, und die mit Kürbis kombinierten Linsen förderten die Nachhaltigkeit. Schon jetzt freue ich mich auf die nächste Suppe, wenn am 23. März Katholiken/-innen und Reformierte einträchtig für einen guten Zweck löffeln. Der traditionelle Suppentag hat mit der Fastenzeit zu tun – der Vorbereitung auf Ostern. Die Fasten- oder Passionszeit beginnt mit dem Aschermittwoch, dieses Jahr am 5. März, und gipfelt im Karfreitag. Das ist eine lange Zeit, aber viele Menschen, die ich kenne, versuchen, in diesen Tagen Körper und/oder Geist etwas bewusster wahrzunehmen oder gar in den Griff zu bekommen. Da und dort finden Fastenwochen statt, mit dem Vorteil gegenseitiger Unterstützung. Dabei kann ja jeder und jede auf seine/ihre Art fasten: Ich zum Beispiel nehme mir vor, vom Aschermittwoch bis am Karfreitag den Alkohol wegzulassen, zudem soweit möglich Zuckerzeugs und Fleisch. Andere kontrollieren in dieser Zeit ihren Fernsehkonsum, den Griff zum Handy oder ihre dummen Sprüche. Das ist die Hälfte der Miete: die persönliche Challenge. Die andere Seite aber, die hat ganz besonders mit diesen Suppen zu tun! Die oben aufgezählten Suppenereignisse wären allesamt fade gewesen, wenn ich sie nicht in Gesellschaft erlebt hätte. Die Suppe eignet sich vorzüglich, um das Feine gemeinsam zu kosten. Denken wir nur an die Kappeler Milchsuppe, die doch immerhin zwei Jahre Frieden brachte zwischen Katholiken und Reformierten! Dieses Jahr wird übrigens im März nicht nur katholisch und reformiert gefastet. Der Kalender der orthodoxen Christinnen und Christen fällt mit dem westkirchlichen zusammen. Und der März ist heuer auch der muslimische Ramadan-Monat. Alle Glaubensgemeinschaften haben ihre eigenen, voneinander verschiedenen Traditionen. Alle wollen aber dasselbe: Sie wollen nicht nur von ihrem Gott reden, sondern mit Leib und Seele seine Nähe suchen. Teilen wir uns doch die nächste Suppe mit allen, denen sie das Herz wärmt! 

Zeno Cavigelli, katholischer Seelsorger

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