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Das Wörtchen «eigentlich»: Selbstschutz oder gar Ausrede?

Erstellt von Tobias Günter, reformierter Pfarrer | |   Unsere Zeitung

In einer Woche feiern wir Ostern. Ein paar freie Tage stehen an. Eigentlich ein Grund zur Freude ... Wir haben Frühling, bald kommt der Wonnemonat Mai. Eigentlich geht es uns gut. Eigentlich ... Sie kennen das. Wir können nicht auf Knopfdruck heiter und fröhlich sein. «Unter jedem Dach ein Ach.» Das kommende Osterfest steht, trotz der Fröhlichkeit des Frei-Habens und trotz der Auferstehung des Sohnes Gottes, trotz des Sieges des Lebens über den Tod, immer auch für die Schattenseite menschlicher Abgründe, theologiegeschichtlich für die grauenhafte Kreuzigung des Sohnes Gottes am Karfreitag.

Genau so ist es mit dem Wörtchen «eigentlich». Wir sprechen es als Selbstschutz aus, wenn wir signalisieren wollen, dass wir mit unserem Leben, mit bestimmten Situationen oder Umständen, nicht wirklich zufrieden sind, darauf aber nicht näher eingehen möchten. Oder wenn wir grundsätzlich etwas verändern möchten, uns aber vor dem konkreten Beginn, vor dem entscheiden ersten Schritt, scheuen. Eigentlich würde ich gerne auswandern ... doch die Familie, der Beruf, die finanzielle Sicherheit hierzulande, der vertraute Bekanntenkreis, all das spricht dagegen. Eigentlich würde ich mit 50 gerne noch was anderes arbeiten ... aber eben, da müsste ich mich umschulen lassen. Lohnt sich das wirklich (noch)? Eigentlich würde ich gerne mehr Sport treiben und/oder neben meinen bezahlten Verpflichtungen monatlich ein paar Stunden gemeinnützige Arbeit leisten ... aber eben, meine Hobbys, meine Bequemlichkeit ... Eigentlich würde ich mit meinem/r Arbeitskollegen/in gerne mal Tacheles reden ... aber eben, ich bin ein friedliebender Mensch und scheue mich vor Konfrontationen. Es gehört wohl zu unserem Mensch-Sein, uns mit dem Wörtchen «eigentlich» herauszureden, um Dinge nicht zu tun und/oder Unbequemem aus dem Weg zu gehen. Doch wenn sich solche Situationen in unserem persönlichen Alltag häufen, steigt längerfristig unser persönliches Unwohlsein. Darum packen wir es an, durchbrechen wir – ganz im Sinne des österlichen «Eier-Tütschens» – eine unserer gewohnten Alltagsstrukturen und lassen das Wörtchen «eigentlich» als Ausrede einmal bewusst weg. Ich bin sicher, wir alle werden danach um eine positive Erfahrung reicher sein. Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und ein frohes Osterfest. 

Tobias Günter, reformierter Pfarrer

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