Jesus stellt sich auf die Seite der Armen und Entrechteten: Sie sind aus seiner Sicht die wahren Erben des Reiches Gottes. Die Herrschenden – sei es König oder Klerus – kritisiert er scharf und stellt ihren Machtanspruch immer wieder in Frage: Legitim ist deren Macht nur, sofern sie Gottes Gesetzen und dem Wohl des ganzen Volkes dienen. «Sünder» wie Zöllner und Dirnen folgen dem Wanderprediger aus Galiläa nach. Gott ist parteiisch – er steht auf der Seite der Armen und Schwachen, der Witwen und Waisen, der «Verlierer». In unserer Gesellschaft schauen wir gerne auf die «Gewinner», vor allem aber auch auf die «Täter»: Die jetzige Debatte um die Missbrauchsskandale der römisch- katholischen Kirche und der Fall Läderach zeigen das. Die Täter stehen im Fokus – im Bezug auf ihre Schuld und deren notwendige Ahndung muss das wohl so sein. Recht und Gerechtigkeit müssen zur Genüge getan werden; aber schnell vergessen wir die Opfer des Ganzen. Wir vergessen schnell all die Menschen, die darunter gelitten haben, ja immer noch leiden. Ganz dem Vorbild Gottes und Jesu folgend haben sie zuallererst meine «Sympathie», das heisst mein Mitgefühl. Dass die römisch- katholische Kirche handeln muss, dass der Fall Läderach weiterverfolgt und geklärt werden muss, liegt auf der Hand – auch hier muss man Partei für die Opfer ergreifen. Wie wir aber einzeln und als Gesellschaft den Opfern beistehen können, das bleibt unsere wahre christliche Aufgabe.
Roland Portmann, reformierter Pfarrer