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Berühmt und doch unerkannt

Erstellt von Roger Geiger | |   Unsere Zeitung

Es ist Sonntag, der 28. Juni. Am Tisch im Restaurant von Vita Futura feiert ein unscheinbarer Mann seinen 80. Geburtstag. Sein Name: Milan Polasek. Er lebt seit 2008 in der Pflegeabteilung.

Er ist freundlich und bescheiden. An seinem Tisch sitzen aufgrund der Corona-Schutzvorschriften nur drei Gäste - und dies auch nur für die Dauer von rund 90 Minuten. Was praktisch niemand weiss: Milan Polasek war früher ein bekannter Musiker. Er spielte Geige sowie Bass und war über zehn Jahre Teil der weltbekannten Jazz-Band Picadilly-Six. Diese Formation, welche in vergangenen Zeiten auch immer wieder in der Region auftrat, steht für swingenden und fröhlichen Dixieland. Die Band ist seit Jahrzehnten bekannt durch zahlreiche TV-Auftritte im In- und Ausland und durch Auftritte an nationalen und internationalen Festivals. Bisher hat sie 14 Langspielplatten und 6 CDs aufgenommen und veröffentlicht – davon 12 Langschpielplatten mit Polasek.

Sechs Wochen in DDR-Haft

Geboren wurde er am 28. Juni 1940 im heutigen Tschechien. Sein Vater war Eisenbahner. Er wurde in verschiedenen Bahnhof-Stationen eingesetzt, was für die Familie häufige Wohnortswechsel bedeutete. Karlsbad war die letzte Station – da lebte Milan bis zu seiner Flucht im Jahr 1968. In seinem Heimatland studierte er Geologie und liess sich in der Musikschule gleichzeitig zum Geiger ausbilden. Als Geologe arbeitete er allerdings nie. Vielmehr wendete er sich der Musik zu – er wurde Berufsmusiker und tourte mit seiner Band bereits durch viele Länder. Am 20. August 1968 hatte die Band anlässlich der Eröffnung des Hotels «Intercontinental» ein Engagement in Gera, der damaligen DDR. Eingeladen waren auch hohe Funktionäre des sozialistischen Staates und der Staatssicherheit (Stasi). Kurz vor ihrem Auftritt hörten sie im Radio und von Hotelangestellten, dass die Russen in die Tschechoslowakei einmarschiert seien. Die Band entschied sich, aus Protest den Auftritt abzubrechen, was sämtlichen Bandmitgliedern eine sechswöchige Haftstrafe in der DDR einbrachte. Zurück in der Heimat entschieden sich Milan und sein jüngerer Bruder zur Flucht. Und obschon damals viele Menschen aus der Tschechoslowakei in die Schweiz flüchteten, gelang Milan und seinem Bruder die Einreise in die Schweiz erst nach mehreren Versuchen via Bregenz. Von dort ging es direkt nach Basel, wo ein guter Freund der beiden lebte.

Statt Geologe Magaziner

Bereits am Tag nach der Ankunft suchte er über das Arbeitsamt eine Beschäftigung. Da erklärte man ihm, als Geologe hätte er in Afrika bessere Chancen und als Musiker müsse er sich selbst um ein Engagement kümmern. Da er aber sofort eine Anstellung brauchte, gab man ihm einen Job als Magaziner in einem Teppichhaus. Danach folgten verschiedene weitere Jobs – meist verbunden mit harter körperlicher Arbeit, welche seiner zweiten Tätigkeit als Musiker nicht gerade zuträglich war. Bereits kurz nach seinem Start in Basel ergänzten er und sein Bruder eine bekannte Amateurband in Basel. Dies bedeutete für Milan, dass er tagsüber körperlich hart arbeitete und abends seine Auftritte absolvierte. Noch immer praktisch mittellos musste er sich einen Kontrabass mieten – kaufen war nicht möglich. Durch seine Band erfuhr er, dass in Kürze eine Jazzgruppe aus England in die Schweiz komme, welcher ein Bassist fehle. Er solle sich doch melden, vielleicht ergebe sich eine Möglichkeit für ihn. Gesagt, getan. Die Auswahl für die offene Position erfolgte direkt im Rahmen eines Auftritts im «Atlantis» in Basel. Er stand in Konkurrenz mit weiteren Bassisten, welche an diesem Abend mit der Band aus England - es waren die «Picadilly Six» - spielten. Milan setzte sich erfolgreich gegen seine Mitkonkurrenten durch. Von jetzt an ging alles sehr schnell. Die «Picadilly Six» wollten ihn gleich fest engagieren. Zuerst musste er aber sein eigenes Musikinstrument kaufen, weil es bis dahin nur gemietet war. Dafür bekam er einen Vorschuss. Danach ging es von Basel zu Engagements nach Genf, Zürich und wieder zurück nach Basel. Eine ganze Saison lang spielten die «Picadilly Six» in Davos, wo Milan tagsüber Schlittschuh lief, Ski fuhr oder sich dem Langlaufen widmete. Es folgten weitere Engagements in der Schweiz, Deutschland und in Spanien. Rund zehn Jahre war Milan Polasek Teil der «Picadilly Six».

Skiunfall beendete Karriere

Doch dann plötzlich musste Milan seine Musikerkarriere beenden. Ein Skiunfall mit gebrochener Hand führte dazu, dass die Nerven am Finger seiner linken Hand dauerhaft so beschädigt wurden, dass er sein geliebtes Instrument nicht mehr spielen konnte. Und wieder musste sich der studierte Geologe eine neue Tätigkeit suchen. Nach einem Einsatz für den Naturschutz am Greifensee wechselte er zur Suisa, deren Aufgabe es ist, im Fall der öffentlichen Nutzung der Musikwerke von Künstlern die Entschädigungen einzuziehen und an die Künstler weiterzuleiten. Dort arbeitete er die letzten elf Jahre vor seiner Pensionierung. 1988 wurde Milan Polasek Vater einer Tochter, welche er nach dem Tod seiner Frau im Jahre 2002 alleine betreute.

Sympathischer Bewohner

Noch vor dem Tod seiner Frau wurde er auf dem Velo von einem Motorrad angefahren, worauf er schwer stürzte und sich am Bein erhebliche Verletzungen zuzog. Trotz Operationen konnte die Funktion des Beines nie mehr richtig hergestellt werden. Nachdem seine Tochter zu Hause ausgezogen war, wurde die Erledigung der Haushaltarbeiten alleine sehr zur Belastung. 2008 entschied er sich, ins Alters- und Pflegeheim in Volketswil zu wechseln. Seit diesem Zeitpunkt ist Milan Polasek als freundlicher, sympathischer älterer Bewohner bei der Vita Futura zu Hause.

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