Ich bin gerade aus den Ferien zurück und habe das Gefühl, meine Arbeit erschlägt mich fast. Ein Termin jagt den anderen, E-Mails wollen bearbeitet und Anlässe vorbereitet werden und dazwischen will noch eine Familie mit drei Kindern, Mann und vielen Haustieren Raum finden. Die Zeit fliegt und ich versuche, irgendwie Schritt zu halten. Zeit … Zeit ist etwas Rätselhaftes. Manchmal ist sie zu kurz, manchmal zu lang. Es gibt Phasen, da geschieht etwas zu Unzeit, und dann gibt es welche, da geschieht etwas zur genau richtigen Zeit. Und doch hat eine Minute immer 60 Sekunden und eine Stunde 60 Minuten. So betrachtet, fliesst sie immer gleich schnell, auch wenn wir die Uhr schneller drehen oder anhalten. Anders als im Deutschen kennt man im Griechischen zwei unterschiedliche Begriffe für unser Wort «Zeit»: «Chronos» und «Kairos». «Chronos» meint die zählbare Zeit, den tickenden Sekundenzeiger, die fallenden Sandkörner. Er beschreibt die Zeit, die immer vorwärtsläuft, die abläuft, die vergeht. Wir können sie ablesen an den Falten in unserem Gesicht, den wachsenden Kindern, den Jahresringen der Bäume. «Chronos» ist unaufhaltsam, gradlinig und unerbittlich. «Chronos», so heisst in der griechischen Mythologie der Vater des Zeus. Er möchte Herrscher der Welt bleiben und frisst aus diesem Grund alle seine Kinder, mit Ausnahme des Zeus, der durch eine List seiner Mutter entkommt. Zeus wiederum schafft es, seinen Vater in die Unterwelt zu verbannen. Doch wenn ich mir unsere Welt, unseren Alltag so anschaue, beschleicht mich das Gefühl, dass «Chronos» immer noch sein Unwesen treibt. Hetze, Zeitnot, Stress sind seine Auswüchse in unserer Gesellschaft. Unser Leben ist durchgetaktet bis zur letzten Sekunde. Wir sind in Gedanken nicht bei dem, was wir gerade tun, sondern schon bei der nächsten oder übernächsten Aufgabe. So schenken wir dem «Chronos» Macht über unser Leben. Wir lassen uns hetzen und aufreiben von allen unseren Terminen, Aufgaben und Pflichten. Dabei verpassen wir den «Kairos». Der «Kairos» meint «den rechten Augenblick», den Moment, in dem mir aufgeht: Gott ist mir nahe. Jesus ist mir nahe. Bald beginnt der Advent, eine Zeit, die wir bewusst nutzen können, um uns auf den «Kairos», die Gegenwart Gottes, in unserem Leben einzulassen. Sensibel zu werden für die Spuren Gottes in meinem Alltag. Dieses Staunen über den «Kairos» kann aber nur da entstehen, wo ich ganz bei mir bin. Lassen wir uns darauf ein. Ganz nach dem Motto des Komikers Karl Valentin: Heute besuche ich mich selbst – mal sehen, ob ich da bin.
Judith Schiele, Jugendseelsorgerin


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