Der Frühling bringt traditionell viel Arbeit: Im Garten will alles für die Vegetationsperiode vorbereitet werden. Wer will und kann, sät oder pflanzt. Und wir alle müssen die Steuererklärung ausfüllen und einige von uns den Jahresabschluss darin verarbeiten. Wir blicken nach vorne und ziehen Bilanz, schmieden Pläne oder entwickeln Hoffnungen. Das tun auch wir in der Pfarrei. Uns erwartet eine Umbauzeit von fast mehr als anderthalb Jahren. Wir rücken zusammen und verzichten auf Gewohntes. Dieser Umbruch ermöglicht Veränderung: Loslassen von Vertrautem und einen Blick in eine vielleicht noch ungewisse Zukunft. Frühling bedeutet für mich neben Neuanfang auch Vergebung: In den Religionen wird Vergebung unterschiedlich beschrieben, erlebt und interpretiert. In den meisten Religionen spielt sie eine wesentliche Rolle. Auch in der pfarreilichen Sozialberatung ist die Bereitschaft zur Vergebung ein Schlüsselbegriff. In der Konfliktlösung widerspiegelt sich die Beziehung zwischen Mensch und Gott. Nach Martin Luther ist die Vergebung der Sünden geradezu die Hauptaufgabe der Kirche. „Darum ist alles in der Christenheit dazu bestimmt, dass man da täglich durch Wort und Zeichen lauter Vergebung der Sünden hole, um unser Gewissen zu trösten und aufzurichten, solange wir hier leben … Wir leben in der Christenheit, in der lauter Vergebung der Sünden ist, in dem doppelten Sinn, dass uns Gott vergibt und dass wir uns untereinander vergeben, tragen und aufhelfen.“ Oder im Hinduismus gab Mahatma Gandhi zu bedenken, dass eine abhängige Person nicht verzeihen könne, da sie unfrei handelt. Dazu schrieb er: „Gewaltfreiheit ist bedeutungslos, wenn sie von einer hilflosen Kreatur ausgeht. Eine Maus wird einer Katze kaum vergeben, wenn sie es zulassen muss, von ihr in Stücke zerrissen zu werden.“ Der ehemalige südafrikanische Friedensnobelpreisträger und Erzbischof Desmond Tutu schrieb zusammen mit seiner Tochter Mpho Tutu „Das Buch des Vergebens. Vier Schritte zu mehr Menschlichkeit“. Um zu zeigen, wie der Prozess des Vergebens für jeden möglich wird. Das Buch geht über die Notwendigkeit des Vergebens in gesellschaftlichen und politischen Konflikten hinaus. Aus alltagsphilosophischer Sicht kann Vergebung Vergessen bedeuten. Mir ist es wichtig, bewusst zu unterscheiden, wann Vergebung Vergessen meint und wann es einem möglich wird, bewusst und proaktiv zu verzeihen.
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