Ich habe diese Initiative unterschrieben, weil ich Diskussion und Volksentscheid dieses Themas begrüsse. Die Initianten finden Familie wertvoll und bekennen sich zu einer Stärkung des Familienverbandes, indem sie die Lebensqualität in einem Familienverband verbessern wollen. Dafür präsentieren sie einen Katalog von speziellen Massnahmen, von denen ich einigen durchaus zustimme (Beispiele : Massnahmen gegen die Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz von durchschnittlichen Familien (Mittelschicht) aufgrund der steigenden Lebenshaltungskosten). Dass die Initianten auch einstehen für andere politische Ziele, die ich nicht teile (Beispie : Ablehnung der Sterbehilfe), ist für mich kein Grund,iIhre Initiative und damit die Unterstützung von Familien grundsätzlich abzulehnen. Trotzdem erlaube ich mir, drei negative Aspekte zur Diskussion zu stelle :
- Die Initianten machen keine Angaben zur Finanzierung ihres Anliegen : sollen Steuern erhöht werden oder soll bei anderen (welchen ?) Ausgaben der öffentlichen Hand gespart werden ? Immerhin erhebt die Initiative ja den Anspruch, niemanden zu benachteiligen. Mehrausgaben wegen Steuererhöhungen schaffen jedoch faktisch Nachteile für alle Steuerzahler, die nicht in einem Familienverband leben und daher keinen Nutzen durch höheres Kindergeld haben, und wenn diese Kindergeld-Erhöhung durch andere Einsparungen der öffentlichen Hand finanziert werden soll, wird es auch dabei Benachteiligte geben. (Beides muss kein Grund sein, die Initiative abzulehnen, es ist aber legitim, sich darüber zumindest Gedanken zu machen.)
- Als Grund dafür, dass "mehr Geld für Familien" bereitgestellt werden soll, nennen die Initianten ein Ziel "mehr Kinder", weil diese zu einer nachhaltigen Gesellschaft führen und damit insbesondere die AHV sichern würden. Das ist nun schlicht und einfach falsch und zudem unethisch : Erstens müssen Kinder ein Recht haben, um ihrer selbst Willen in eine Familie geboren und geliebt zu werden - also nicht missbraucht zu werden als "Funktionsbeauftragte der Gesellschaft", weder als Soldaten / Kanonenfutter wie im dritten Reich noch in unserer Zeit als künftige Prämien-Zahler für die wegen des Bevölkerungswachstums überforderten Sozialwerke. Zweitens führen mehr Kinder auch zu mehr AHV-Bezüger in späteren Jahre : Will man dies dann durch noch mehr Kinder finanzieren ? Eine solche exponentiell wachsende Gesellschaft ist keine nachhaltige Gesellschaft, sondern in einer Zeit, da man die Notwendigkeit eines nachhaltigen Umgangs mit existenziellen Ressourcen erkennt, eine unverantwortliche Wachstumsgesellschaft.
- Früher war es nicht unüblich, möglichst viele Kinder in die Welt zu setzen, um sich zumindest im Alter von diesen versorgen zu lassen (in einigen Entwicklungsländern gilt dies heute noch), und in Ländern, welche grosszügig Kindergeld ausbezahlten, haben einige "Lebenskünstler" viele Kinder gehabt, um weniger oder gar nicht arbeiten zu müssen und vom Kindergeld leben zu können. Eine sinnvolle Kindergeld-Regelung ist sicherlich gerecht, sie bedeutet aber auch, dass eine Familie ohne Verdienst ihr Leben nicht einfach durch Kindergeld für viele Kinder bestreitet - das würde die Gerechtigkeit in ihr Gegenteil verkehren. Leider gibt es auch Menschen, deren Egoismus sie zu einer solchen oder ähnlichen "Familienstrategie" verleitet - ich kenne persönlich einen Fall einer Frau, die von den Alimenten plus Kindergeld für Kinder von drei verschiedenen Männer ein komfortables Familienleben geniesst.
Trotz dieser Vorbehalte sehe ich auch positive Aspekte einer Unterstützung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage von Familien: etwa, dass "der Beruf der Mutter" (respektive eines Elternteils, der für die Kinder "zuhause" ist) nicht nur gewürdigt, sondern für viele Familien erst mal überhaupt wirtschaftlich ermöglicht werden soll, gegenbenenfalls unterstützt durch Teilzeitarbeit zuhause. Eine mögliche Realisierung der Vision einer Stärkung der Familie (gemeint ist jedes Familienverband-Modell mit zwei Erwachsenen, die zuständig sind für die elterliche und wirtschaftliche Versorgung der Kinder des Familienverbands) liegt in Massnahmen, welche eine Begrenzung des Bevölkerungswachstums zum Ziel haben (also das Gegenteil von "mehr Kinder zur Sicherung der AHV) und dafür wirtschaftliche Anreize biete : ein Beispiel dafür wäre eine Beschränkung der automatischen und zweckgebundenen Kindergeld-Zahlung auf zwei Kinder pro Familie sowie eine Überweisung der Ausbildungszulage auf das Konto der in Ausbildung befindlichen Kinder. Denn wer drei oder mehr Kinder in die Welt setzt, sollte sich die Kosten für das dritte und die weiteren Kinder auch leisten können ohne dass die ganze Familie aus wirtschaftlichen Gründen unter einer unterdurchschnittlichen Lebensqualität leiden muss. Diese Massnahme würde für die Staatskasse eine Einsparung erbringen, welche auch dazu beitragen könnte, die Zahlungen für Zulage-berechtigte Kinder etwas erhöhen zu können.
Das grösste Verdienst dieser Initiative sehe ich darin, dass sie die Menschen für ein wachsendes Problem sensibilisert, eine mögliche Lösung thematisiert und damit auch eine Diskussion zu weiteren zum Teil unbeantworteten Fragen anstösst, darunter auch die Frage nach einer besseren Lösung des angesprochenen Problems. Klar ist, dass mit einer simplen und alternativlosen Ablehnung einer solchen Initiative keine erkannten Probleme gelöst werden. Vielleicht kann diese Initiative ein erster Schritt sein zu einer Lösung, die wahrscheinlicher durch sukzessive Approximation letztlich erreicht wird : demokratische Entscheide sind manchmal auf Anhieb richtig, manchmal auch falsch, aber sehr oft enthalten sie richtige und falsche Aspekte. Deshalb ist es sinnvoll, Entscheide nicht als "in Stein gemeisselt" zu verstehen, sondern auch nach einem Entscheid die Konsequenzen daraus sorgfältig weiter zu evaluieren und bei Bedarf mit einer neuen, verfeinerten Vorlage die richtigen Aspekte und Konsequenzen zu wahren und die falschen zu korrigieren. Demokratische Entscheide können dafür vom Konzept einer sukzessiven (Teilschritt-weisen) Annäherung an eine Lösung qualitativ profitieren, es scheint mir also durchaus lohnenswert, sich Gedanken zu machen über dieses Konzept. (Ein Vergleich aus der Technik: auch die Wandlung von analogen physikalischen Grössen in digitale Informationen ist durch die Technik der sukzessiven Approximation erheblich verbessert worden.)
Am Beispiel dieser Familien-Initiativ : wenn etwa der Aspekt "Lebensqualität in der Familie fördern" eigentlich erkennbare Zustimmung erfährt, die oder einige vorgeschlagenen Massnahmen aber zu einer Ablehnung führen, denn kann ein solcher demokratischer Entscheid auch verstanden werden als Auftrag, das Ziel weiter zu verfolgen, die ungeeigneten Massnahmen jedoch zu überarbeiten oder durch bessere zu ersetzen und die negativen Nebenwirkungen zu beheben. Umgekehrt können auch negative Aspekte oder Konsequenzen bei einer Initiative, die trotzdem angenommen wurde, gesehen werden als Signal, den Entscheid durch entsprechende Korrekturen nachzubessern und dadurch aufzuwerten.
Werner Klee, Kindhausen
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