Irgendwie schätzen wir doch das Immer-wieder-Gleiche. Wir alle kennen, ob beruflich oder privat, stürmische Phasen, die von Hektik geprägt sind. Umso mehr schätzen wir doch sich wiederholende Gewohnheiten oder auch Traditionen, an die wir uns klammern dürfen. Selbstverständlich sollen wir uns, unser Werte- und Traditionsbewusstsein beachtend, dem Neuen und dem Sich-Entwickelnden nicht verschliessen. Denn Übergänge und Entwicklungen sind, insbesondere im wirtschaftlich-technologischen Umfeld, ein entscheidender Erfolgsfaktor. Doch, um keine Ängste und Überforderungen auszulösen, geziemt es sich, wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Entwicklungen langsam anzugehen und schrittweise zu kommunizieren. Ein typisches Beispiel, welches für die Schnittfläche von Tradition und wertewandelndem Übergang steht, ist das 3. Gebot der Sonntagsruhe oder der Sonntag selbst. Die Zehn Gebote sind eine einzige Erfolgsgeschichte. Sie sind auch nach 3000 Jahren noch ein universeller Leitfaden für ein gelingendes Leben und, in stillschweigender Übereinkunft der Menschen, ein absolut geltender Massstab für richtiges und falsches Verhalten. Es erstaunt deshalb nicht, dass die Zehn Gebote Verankerung in allen rechtsstaatlichen Verfassungen fanden und die Menschenrechte prägten.
Das 3. der Zehn Gebote (Gebot der Sonntagsruhe) leitet sich aus der Schöpfungsgeschichte im Alten Testament (Gen 1) ab. Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, denn an ihm ruhte Gott von seinem Werk, das er gemacht hatte. Den Menschen gebot er: «Gedenke des Sabbat-Tages, dass du ihn heiligst.» Mit diesem 3. Gebot allerdings hat heute so mancher seine liebe Mühe. Sechs Tage arbeiten und am siebenten Tag ruhen? Als Gott nach sechs Tagen Arbeit am siebenten Tag ruhte, war er nicht etwa erschöpft. Die Ruhe, die Gott sich selber und seinen Geschöpfen gebot, ist eine Ruhe anderer Art: «Und meine Gesetze sollt ihr halten und danach tun und meine Sabbate sollt ihr heiligen, dass sie ein Zeichen seien zwischen mir und euch, damit ihr wisst, dass ich, der Herr, euer Gott bin.» (Ez 20, 19–20) Nicht nur, aber besonders am Ruhetag sollen die Menschen an Gott, ihren Schöpfer, denken und ihn loben; und sie sollen Gemeinschaft mit anderen Menschen pflegen und ihnen helfen. Jesus selbst hat am Sabbat geheilt. In Markus 2, 23–28 sagt er: «Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.» Der Mensch soll am Ruhetag innehalten, sich zurückziehen vom lärmigen Alltag, zur Besinnung kommen, auf die Woche zurückblicken und Kraft schöpfen. Wenn es dem/r Einzelnen gut geht, dann geht es auch anderen gut. So gesehen hat das 3. Gebot auch eine bedeutende soziale Komponente – besonders in der heutigen Zeit.
Das Ruhegebot ist eine Therapie für die gestresste Gesellschaft, eine Anleitung zu einem guten Leben. Vom guten oder freiheitlichen Leben schrieb auch der bekannte Reformator, Martin Luther, vor rund 500 Jahren in der Schrift «Von der Freiheit eines Christenmenschen». Die Haupterkenntnis Luthers und der Reformation überhaupt war und ist, dass allein die bedingungslos zugesprochene göttliche Gnade frei machen kann. Ein sich dadurch frei fühlender Mensch darf den Sonntag getrost geniessen und das Tageswerk geschehen lassen, weil Gnade kein Verdienst ist. Natürlich ist die göttliche Gnade kein Freipass zur unbegrenzten Freiheit und Willkür. Vielmehr soll die Gnade uns, in unserem Menschsein, entlasten, unser menschliches Tun würdigen und uns eingestehen helfen, dass Gott von uns keinesfalls Fehlerlosigkeit und Perfektion verlangt. Wir dürfen sein, wie wir sind, ob traditionsliebend, fortschrittsorientiert oder uns auf der Schnittfläche befindend. Denn, wir alle haben Vorlieben, kulturelle Prägungen und Werte, die uns zu den Menschen machen, die wir sind. Gleichzeitig ist jede/r von uns einmalig, charakterlich einzigartig und in dieser Einzigartigkeit Ebenbild Gottes, gewollt und geliebt. Gott selbst ist der Ewige, die Quelle ewigen Lebens und die unauslöschliche Kraft, die Krummes geradebiegt und menschliches Durcheinander zu ordnen vermag. «Ich bin das Alpha und das Omega, spricht Gott, der Herr, der ist und der war und der kommt, der Herrscher über die ganze Schöpfung.» (Offb 1,8) Ich wünsche uns einen gesegneten Sonntag und einen gedeihlichen Herbst.
Tobias Günter, reformierter Pfarrer
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