Die IVV-Präsidentin Nicole Steiger freute sich, nach der langen Pandemie-Zeit die gesellschaftlichen Anlässe des Industrievereins endlich wieder regelmässig durchzuführen. Die Direktorin der Handelskammer ihrerseits freute sich, vor den Vertretern der Volketswiler Unternehmen referieren zu dürfen: "Wir wollen mit den Lokalvereinigungen im guten Kontakt sein und den Austausch pflegen." Sauter begann ihre Ausführungen mit einer Auslegeordnung. Gemäss Statistik des Staatssekretariates verdient die Schweizer Wirtschaft jeden zweiten Franken mit der EU und generiert dadurch einen jährlichen ökonomischen Nutzen in der Höhe von 24 Milliarden Franken. Die wichtigsten Handelspartner im Jahr 2020 waren Deutschland, Italien und Frankreich. Im Zuge der Personenfreizügigkeit wurden seit 2010 600'000 neue Arbeitsplätze geschaffen, wovon rund 60 Prozent durch EU-Bürger besetzt sind. "Bei über der Hälfte Zugezogenenen aus dem EU-Raum handelt es sich um gut ausgebildete Fachkräfte mit einem tertiären Abschluss", betonte Sauter. Weiter zitierte sie eine Studie der deutschen Bertelsmann-Stiftung, wonach die Schweiz das Land in Europa sei, welches am meisten vom Binnenmarkt profitiere.
Herber Schlag für Life-Science-Branche
Alles im grünen Bereich also? Nicht ganz. Der Abbruch des Rahmenabkommens mit der EU hat zu ersten negativen Auswirkungen geführt, wie die Referentin anhand von Beispielen aufzeigte. Seit Juli 2021 ist die Schweiz im Projekt bei "Horizon Europe", dem gemäss Sauter wohl bedeutendsten internationalen Programm für Forschung und Innovation, nur nur noch als so genannter nicht-assoziierter Drittstaat nicht mehr mit dabei, was bedeutet, dass hiesige Startups nicht mehr länger aus dem Fördergelder-Topf von rund 100 Milliarden Franken profitieren können. Weiter hätten insbesondere die Med-Tech-Branche sowie die Maschinenindustrie einen "herben Schlag" einstecken müssen. Ihre in der Schweiz produzierten Produkte müssen sie jetzt zweimal zertifizieren lassen: einmal in der Schweiz und zusätzlich für den europäischen Raum. Sauter erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass der Grossraum Zürich in den letzten Jahr zu einem eigentlichen Hotspot für Unternehmen aus dem Biotech- und Life-Sciene-Bereich geworden sei. Hinzu komme noch das Stromabkommen mit der EU, das seit 2018 auf Eis gelegt ist. "Im schlimmsten Fall ist die Stromversorgungssicherheit ab 2025 nicht mehr gewährleistet". Auch das Finanzabkommen ist blockiert. Schweizer Banken dürfen von der Schweiz aus keine Kunden aus dem EU-Raum anwerben und die Börsenregelung ist auch nicht äquivalent mit der EU.
Gleichberechtigter Zugang zum Binnenmarkt
Wie weiter? "Die EU dürfte auch in den nächsten Jahrzehnten die mit Abstand wichtigste Handelspartnerin der Schweiz bleiben", so die Einschätzung der Grossbank UBS, die auch von der Direktorin der Handelskammer geteilt wird. Man müsse sich aber vor Augen halten, dass der Status Quo für die EU keine Option sei und die EU heute nicht mehr die gleiche sei wie jene, mit der die Schweiz die Bilateralen abgeschlossen habe. Der Bundesrat wolle den bilateralen Weg stabilisieren und weiterentwickeln. Daher hat er am 23. Februar die Stossrichtung für ein breites Verhandlungspaket beschlossen. Zu den fünf bestehenden Binnenmarktabkommen sollen weitere Abkommen zu Strom, Lebensmittelsicherheit, Forschung, Bildung und Gesundheit hinzukommen. Dieses Vorgehen mit dem "Paketansatz" begrüsst Sauter grundsätzlich. Ziel müsse sein, dass die Schweiz einen gleichberechtigten und diskriminierungsfreien Zugang zum Binnenmarkt erhalte.
Knackpunkt Personenfreizügigkeit
In ihrer Lagebeurteilung ortete Sauter Kräfte innerhalb der EU, welche sich für die Schweiz einsetzen würden. Inbesondere spüre man aus Deutschland Signale, dass die Schweiz Unterstützung für eine Lösungsfindung erhalte. "Es hat aber schon noch einige Knackpunkte", räumte die Referentin ein. So bleibe die Personenfreizügigkeit auf beiden Seiten ein kritischer Punkt. Im Inland rege sich massiver Widerstand seitens der Gewerkschaften, welche an den flankierenden Massnahmen festhalten wollten, während seitens der EU argumentiert werde, dass gerade Letzteres hinderlich sei im freien Wettbewerb. "Wichtig ist, so hielt Sauter abschliessend fest, dass man über das Thema redet und im Inland Verständnis schafft. Die Schweiz kommt nicht darum herum, eine europapolitische Diskussion zu führen." Es läge jetzt auch am Bundesrat, die guten Beziehungen zur EU zu intensivieren und vermehrt für die Sache der Schweiz zu lobbyieren. Dass die Schweiz übrigens die europäischen Sanktionen gegen Russland mittrage, wertet Sauter als als wichtiges Signal gegenüber Brüssel.
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