Haben wir nicht zugehört, haben wir nicht verstanden? Doch – aber es prallt an uns ab. In unserer Geistlosigkeit sind wir zu zufrieden, zu glücklich und zu geistlos. Geistlos leben wir weiter wie zuvor. Aber da kommt ein kleines Virus – nicht das Erste, nicht das Letzte – und beginnt zu wirken. Bilder von Särgen, die sich stapeln, von Panzerfahrzeugen, die nachts die Toten aus den Städten in die Krematorien verfrachten, versetzen uns in Panik. Jetzt, angesichts einer Gefahr, die durchaus real ist, aber in keinster Weise zu vergleichen ist mit der drohenden heissen Hölle, bekommen wir Angst.
Handeln endlich – klug? Kopflos? Überstürzt? Vorausschauend? Wer will das jetzt schon wissen. Wagen das Undenkbare, handeln und legen den Motor des Überlebens still. Wer hätte gedacht, dass wir jemals dazu fähig sind? Die Folgen: Eine Welt auf Entzug, die Wirtschaft taumelt auf den Abgrund zu. Ich verstehe uns Menschen seit Corona endlich besser. Da muss uns etwas packen, direkt, unmittelbar. Da muss uns die Angst vor dem Tod packen, wir müssen Särge sehen, Tote, die sich stapeln – dann sind wir bereit zu handeln und bringen als Gemeinschaft die Kraft auf uns einzuschränken, zu verzichten und alles zu geben, damit wir die Krise meistern.
Die Angst macht den Wendepunkt. Todesangst schenkt uns Kraft, uns zu ändern. Das ist leider alles in und mit der Klimahölle, auf die wir zusteuern, bald zu haben. Der Tod unserer Zivilisation droht, wenn wir diese Krise nicht lösen. Die Auswirkungen sind viel schlimmer als die Corona-Särge, die sich heute irgendwo stapeln mögen. Unsere Flüsse werden austrocknen. Unsere Wälder verdorren. Unsere Quellen versiegen. Unerträgliche Hitze plagt uns, lebensfeindlich für Säuglinge und alte Menschen. Überschwemmungen und Dürren nehmen zu.
Wie erwirtschaften wir Nahrung? Nein, ich male nicht den Teufel an die Wand – wir brauchen nur die Augen zu öffnen und wahrzunehmen: Wir sind mitten drin. Wird es bald einmal das neue Normal, uns zu kleiden wie Menschen auf dem Mond: Sonnenschutz, weil die Ozonhülle ruiniert ist, Mundschutz, weil Viren drohen, Hautschutz, weil Hautkrebs droht? In meiner Jugend konnte ich herumtoben wie ich wollte, meine Eltern waren nicht gezwungen, mich mit hormongeschwängerter Creme einzuschmieren und mir Kappe und Mundschutz zu verpassen.
Die Lösung – liegt offen zutage. Ich, Sie, wir alle – müssen unser Leben ändern, um Leben, wie wir es uns wünschen, zu retten. Was braucht es, um die Kraft dazu zu erlangen? Nicht Abwiegeln, Warnungen vor Panikmache, Hinweis auf Gottvertrauen (oder wie auch immer wir dieses komische Gefühl, es könne nichts passieren, Gott bewahre uns vor den Folgen unseres Tuns, nennen) und meditative Gelassenheit – sondern im Gegenteil Angst und zur Kenntnis nehmen dessen, was auf dem Spiel steht; was wir im Begriff sind zu zerstören. Dann werden wir aufhören, unserer Bequemlichkeit, gut geschützt durch faule Ausreden (ich brauche einen SUV, ich hab das Anrecht auf Flugreisen, ich brauche mein tägliches Fleisch, es nützt nichts zu handeln, solange die USA oder - wahlweise - China nichts tun...) zu frönen.
Die grossen Veränderungen kamen bis jetzt nie von den Machtzentren der Welt, sondern immer von Aussen, vom Rande. Von den Rändern das Neue. Wir sind es, mit denen Gott das Neue – heute den nicht Schöpfung zerstörenden Lebensstil – beginnen will, wir sind heute und jetzt gefragt, in unserem kleinen Einflussbereich, unserem kleinen Land. Wie konnte es kommen, dass wir eher die Unausweichlichkeit der Klimakatastrophe zu akzeptieren bereit sind als die Möglichkeit des – gemeinschaftlichen – Handelns ins Auge fassen?
General Guisan sagte vor 80 Jahren, am 1. August in Arosa angesichts der wachsenden Gefahr in Europa und des Verbrechers Hitlers in Berlin: «Achtung findet nur der, der sich zu verteidigen weiss.» Sind wir bereit, das Leben zu verteidigen? Achtung von unseren Nachkommen, welche die Auslöschung unserer Zivilisation definitiv zu ertragen haben, findet nur der, der die Grundlagen des Lebens zu verteidigen bereit ist. Guisan fährt fort: «An der Schwelle zu einer entscheidenden Zeit gebe ich euch folgenden Befehl: Denkt wie Schweizer und handelt wie Schweizer.
Schweizerisch denken heisst: Im Nachbarn den Menschen ehren, bei uns wie ausserhalb unserer Grenzen. Darum stellen wir das Recht über die Kraft, die Menschlichkeit über Nutzen und Wohlfahrt. Darum freuen wir uns über die Verschiedenheit der Sprachen, der Rassen und Kulturen. Darum bleiben wir neutral im Kampf der Grossmächte und bemühen uns, sie zu verstehen, so wie sie sind, indem wir uns treu bleiben.» Guisan nimmt angesichts der Übermacht in Deutschland Bezug auf resignierte SchweizerInnen. «Manche fragen sich auch heute: Können wir überhaupt Widerstand leisten?» Ähnlich resigniert klingen Menschen heute: «Können wir überhaupt klimafreundlich leben und die Zerstörung der Lebensgrundlagen stoppen?» Guisan hat darauf die aufrüttelnde Antwort: «Diese Frage ist eines Schweizers, einer Schweizerin nicht würdig.» Hoffnungslosigkeit und Kapitulation ist unserer nicht würdig.
Es bleibt nur eines: Stellen wir auch heute das Recht über die Macht, Menschlichkeit über Wohlfahrt und Bequemlichkeit! Wir bleiben neutral, doch nicht aus Opportunismus und Prinzipienlosigkeit; wir schultern beherzt die Aufgabe, klima-neutral zu leben. Dass dies möglich wie auch genussvoll und befreiend zugleich ist – diesen Beweis werden wir erst erbringen müssen. Leicht wird das nicht, zugegeben. Aber war es 1940 leicht, angesichts der Grossmächte Italien und Deutschland und des Kollaborationswillens von machtvollen Schweizer Politikern, Industriellen und Finanziers mit Nazideutschland wehrbereit zu bleiben?
Gina Schibler, reformierte Pfarrerin
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