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Was fehlt, wenn Gott fehlt?

Erstellt von Roland Portmann, reformierter Pfarrer | |   Unsere Zeitung

Was fehlt, wenn Gott fehlt? Zu dieser Preisfrage lud die evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich anlässlich des Reformationsjubiläums zum Schreiben ein: Daraufhin entstand ein Büchlein aus den eingesandten Beiträgen.

Man kann diese Frage ausweiten auf die generelle Frage: Braucht es überhaupt einen Gott? In der heutigen säkularisierten Welt scheint Gott- gerade auch der biblisch- christliche Gott überflüssig und durch anderes ersetzt worden zu sein… Bereits Dietrich Bonhoeffer, der deutsche Theologe und Widerstandskämpfer im 2. Weltkrieg schrieb: „Wir leben in einer Welt ohne Gott.“ Für Bonhoeffer ist die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus das Ereignis, an dem die liberal-bürgerliche Hoffnung auf eine fortschreitende Humanisierung der Welt zerbricht: Die Barbarei des Nationalsozialismus macht offenbar, dass Gottes Wille und die konkrete Welt nicht deckungsgleich sind und es auch niemals sein werden, egal wie gut menschliche Verfassungen auch sein mögen. «Welche Bedeutung hat dann das Christentum noch in der modernen Welt?» Diese Frage stellt sich für Bonhoeffer angesichts der Beobachtung, dass die Zeit der Religion offenbar zu Ende gegangen ist. Die Erfahrung des Nationalsozialismus zeigt Bonhoeffer, dass sich die Menschen die Position Nietzsches zu eigen gemacht haben: Sie haben Gott getötet, um frei über sich zu bestimmen – der „tolle Mensch“ beherrscht die Welt. Die Ideen Bonhoeffers scheinen angesichts der aktuellen Weltlage ihre Brisanz und ihre Aktualität nicht verloren zu haben: Der «tolle Mensch» ist sich selber das Mass aller Dinge, er ist selber Gott geworden: Der Mensch herrscht über Himmel und Erde und neuerdings auch über seine Gene.

Das Leben ist sicher besser und länger geworden- aber eben nur für einige und nicht für die Mehrheit der Menschheit und schon gar nicht für den Rest der ehemaligen «Schöpfung». Der Mensch bedient sich schamlos bei der Natur und seinen Nächsten wie er will und scheint dabei nicht genug zu bekommen, eben «toll» geworden zu sein. Ebenso wie in der Zeit von Bonhoeffer ist heute die kapitalistisch- bürgerliche Utopie des ewigen Friedens durch die freie Marktwirtschaft und den technischen Machbarkeitswahn mit 9/11 zerbrochen. Der wideraufflammende Nationalismus, der vor knapp 100 Jahren zu zwei Weltkriegen führte und die sich anbahnende Klimakatastrophe hängen drohend wie ein Damoklesschwert über der Weltordnung. Wie bei Bonhoeffer scheint die Welt eben «toll» geworden zu sein. Dennoch ist für Bonhoeffer die Welt zwar Gott fern, hat sich der Mensch von Gott entfernt, die Welt ist aber nicht gottlos: „Mit Jesus Christus ist die Wirklichkeit Gottes in die Wirklichkeit dieser Welt eingegangen“, schreibt Bonhoeffer. Gott ist da, in dem er selber Mensch geworden ist, auch wenn der Mensch ihn weg, «privat» oder höchstens noch an Weihnachten haben will. Gott ist da- so lautet einer der Namen des Messias ja auch «Immanuel»- Gott ist mit uns. Gott ist da, ob wir wollen oder nicht: Jesus Christus ist Geschichte, nicht in dem Sinn, dass er «vorbei» also nur einfach Vergangenheit wäre.

Gott hat sich mit Jesus Christus dieser Welt gezeigt und tut das immer noch. Und Gott hat immer noch seine «Anhänger»: Menschen, die sich in ihrem Leben und Streben von Jesus Christus und dem heiligen Geist leiten und inspirieren lassen. Auch hier lebt Gott im Geiste in und mit diesen Menschen. «Christen- das sind Menschen, die Christus nachfolgen», hat Gottfried Locher, der Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) gesagt. Das bedeutet aber eben nicht Anpassung an eine Welt, für die Gewinner und Verlierer halt Alltag und somit «normal» sind, sondern das verlangt, Widerspruch und Widerstand dort zu üben, wo Menschen oder Strukturen dem Reich Gottes, dem Frieden und der Gerechtigkeit, entgegenstehen: «Der Widerspruch gegen die Welt muß in der Welt ausgetragen werden», so Bonhoeffer. «Was fehlt, wenn Gott fehlt?» Mit Jesus Christus kann uns Gott gar nicht fehlen und der christliche Widerspruch gegen Gewalt und Ungerechtigkeit in dieser Welt bleibt somit bestehen. 

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